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Es werden Posts vom Juni, 2020 angezeigt.

Reto Hänny: Flug

Ich las die erste Fassung dieses Romans von 1984 des ausgebildeten Volksschullehrers. Er wurde 1947 in Graubünden geboren. Eine neue „übermalte“ Fassung erschien 2007. In seinen Ausführungen, in denen sich Elemente eines Entwicklungsromans finden, schickt der Autor seinen Protagonisten quasi auf einen „Flug“ aus einem Bauerndorf hinaus in die Welt. Retos Schreibstil ist ein besonderer und damit für den Leser eher gewöhnungsbedürftig. So arbeitet er mit ausgefallenen Sprachbildern, mischt Sprache und spielt mit ihr, mit dem Ziel sie zum Klingen zubringen. Für mich überreizt er seine stilistischen Elemente ein wenig, weil sie den Textkern in den Hintergrund stellen und somit für mich den Lesefluss hindern, der nötig ist, um sich in die Geschichte hineinfallen zu lassen. Zudem zeigt sich schließlich, dass Reto Hänny seiner These treu bleibt, dass Literatur immer aus Literatur entsteht und arbeitet mit „Zitaten“ aus Romanen anderer Autoren. Fazit: Ein Schuss zu viel Experimen

John Burnside: Haus der Stummen

Wieder einmal fesselte mich ein Roman dieses Autors von der ersten bis zur letzten Minute! Man kann es schon „starken Tobak“ nennen, was Burnside in seinem „Haus der Stummen“, übrigens sein erster Roman, über das, was Menschen anderen Menschen antun können, schreibt. Er zeigt, dass ein Mensch unberechenbarer und brutaler sein kann, als jedes andere Lebewesen, wenn er von abstrusen Gedanken zu töten getrieben wird und sich dabei scheinbar als Forscher gibt, der sich von seinen niedrigsten Instinkten leiten lässt, um der Seele seines Opfers nachzuspüren! Als Leser gerät man in einen Sog des Grauens, der einen über das Ende des Romans hinaus nicht so leicht loslässt.

Eva Leidmann: Wie man sich bettet

Dieser Roman mit autobiografischen Zügen erschien 1933. Die Geschichte spielt in München und handelt von einer Kellnerin und deren Erfahrungen mit den " Mannsbildern " . Es ist erstaunlich wie die Autorin die männliche „ Spießer-Welt"und „ Spießer-Denke " der damaligen Zeit entlarvt! Allerdings ist es kein Wunder, dass die Nationalsozialisten Eva Leidmanns emanzipatorischen Ton nicht duldeten. Und so fiel ihr Roman noch im Jahr seines Erscheinens den Bücherverbrennungen zum Opfer. Eva Leidmanns Werk steht den heutigen Frauenromanen, literarisch in nichts nach! Allerdings müssen sich diese leider auch im 21. Jahrhundert immer noch mit der von Vätern und Männern geprägten, kontrollierten und repräsentieren Gesellschaft auseinandersetzen. Die in Burghausen geborene Autorin Eva Leidmann , die auch Drehbücher schrieb, starb 1938 mit 49 Jahren in Folge einer Blinddarmoperation in ihrer Wahlheimat Berlin.

Nagib Machfus: Der Rausch

Der ägyptische Autor (1911-2006), der u. a. als „Pharao der Literatur“ apostrophiert wird, schrieb diesen Roman 1965. Er erschien 2005 auf Deutsch. Im Mittelpunkt der Story steht der Kairoer Anwalt Omar al Hamzawi, der in seiner Midlife-Crisis aus der Welt scheiden will. In dieser Situation taucht ein Freund aus alten Zeiten auf, der zusammen mit ihm 20 Jahre zuvor für ein besseres Ägypten kämpfte. Er, der seine Haftstrafe abgesessen hat ohne seine alten Kameraden zu verraten, verblüfft den Anwalt mit seiner jovialen Art ihm gegenüber. Allerdings findet dieser keine passenden Worte für das Verhalten seines Gegenübers. Ganz überzeugen konnte mich dieser Roman nicht! Was allerdings für mich als positives Fazit für ihn spricht, ist, dass er sich durchaus als Appell für Humanität und Freundschaft verstehen lässt.

Robert Louis Stevenson: Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Stevenson, weltbekannt durch seinen Roman „Die Schatzinsel“ thematisiert zum Ende des 19. Jahrhunderts in diesem Werk das Doppelgängermotiv. Wobei sich die Frage stellt, geht es in dieser Geschichte - die mir sehr gut gefiel -, um zwei verschiedne Wesen oder handelt es sich um eines, das zweigeteilt ist? Sozusagen frei nach Goethes Motto: „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust!“ Wenn dies so wäre, würde es sich bei der Darstellung um die einer gespaltenen Persönlichkeit handeln, die für das Rätselhafte, das Dunkle im Menschen, sprich für sein Unterbewusstsein steht? Und Stevenson nähme seine Leserinnen und Leser quasi auf eine Art Selbstfindungstrip mit, bei dem er ihnen ihren eigenen Dr. Jekyll bzw. ihren eigenen Mr. Hyde vor Augen führt!

Henrik Ibsen: Die Frau vom Meer – Schauspiel in Fünf Akten –

Dieses Schauspiel spielt an einem kleinen im nördlichen Norwegen angesiedelten Ort. Seine Protagonisten sind Doktor Wangel, seine zwei Töchter aus erster Ehe und seine zweite sehr junge Frau Elida, die als Tochter eines Leuchtturmwärters sozusagen im Meer aufwuchs. Das ungleiche Paar bekam nach der Heirat ein Kind, es starb allerdings kurz nach der Geburt. Die zwei werden nicht glücklich miteinander und Weigel sucht einen Ausweg aus dieser Misere. Parallel taucht völlig unerwartet ein Seemann auf, Elidas Jugendliebe. Er will sie zu sich holen und stellt sie vor die Wahl: Mitzukommen oder ihn für immer zu verlieren! Wangel löst freimütig sein Verhältnis zu Edda auf. Aber am Ende entscheidet sie sich für ihn und findet sogar einen Bezug zu seinen Töchtern. Letztlich stellt Ibsens Werk, für mich nichts geringeres dar, als das erste literarische bzw. dramatische Fanal für die Emanzipation der Frau!

Theodor Fontane: Frau Jenny Treibel

Fontane porträtiert in diesem für mich wirklich köstlich und unterhaltsam geschriebenen Roman mit autobiographischen Zügen, gewissermaßen die Berliner Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Roman trägt den Untertitel „Wo sich Herz zum Herz findt“. Mit seinem bissigen Spott und seiner bitteren Ironie zeigt Fontane deutlich, wie hohl und oberflächlich sich das Bürgertum der damaligen Zeit gab. Allerdings gebärdet sich die heutige sogenannte „Upper Class" kein Deut besser!

Jeffrey Eugenides: Middlesex

Ein gut zu lesender Unterhaltungsroman mit Tiefgang, der von einem griechischen Paar handelt, das zu Anfang des letzten Jahrtausends die Türkei – in der damals viele ihrer Landsleute angesiedelt waren – aufgrund des Griechisch-Türkischen Kriegs verlässt, um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten als Immigranten Fuß zu fassen. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Enkels. Ihre Themen sind u. a. Inzest und Transsexualität. Im Jahre 2003 erhielt der Autor für seinen Roman den Pulitzerpreis. (Anmerkung: Auf Seite 201 (unten!) schreibt der Autor, dass 60 % der amerikanischen Polizisten damals „Geheimmitglieder der weißen protestantischen Order of the Black Legion waren, der eigene Methoden hatte, Schwarze, Kommunisten und Katholiken zu beseitigen.“)

Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit - Sachbuch -

In seinem unaufdringlich aufklärerischen und sehr zu empfehlenden Sachbuch zeigt der Medienwissenschaftler Pörksen auf, wie sich vernetzte User mit Gerüchten, Skandalen usw. im Internet in einen Kokon begeben, in dem sie sich geborgen fühlen, weil sie unter ihresgleichen sind. Hier verpuppen sie sich in ihrer eigenen Welt, in der nur ihre Wahrheit zählt! Reales bleibt auf der Strecke und findet in ihrem versponnen „Fake-News-Kokon“ nicht statt. In diesem diffusen Konstrukt, das eine immense Eigendynamik entwickelt, werden aus Gerüchten Tatsachen und Falschmeldungen ernst genommen. Was draußen real passiert, ist in dieser Scheinwelt nicht relevant, denn in ihr hat „man“ (sich) etwas zu sagen! Der Einzelne fühlt sich in seiner Meinung von Gleichgesinnten bestärkt. Ihr gemeinsamer Feind ist die Außenwelt, vor der sie sich verschließen und von der sie sich Stück für Stück entfernen. Was sich aus diesem Konglomerat für die reale Welt ergeben kann, war bereits nicht selten ein

Anuk Arudpragsam: Die Geschichte einer kurzen Ehe

In seinem literarisch anspruchsvollen und großartig geschriebenen Debütroman von 2017 erzählt der junge Autor, Anuk Arudpragasam, der tamilischen Glaubens ist, eine bewegende Liebesgeschichte, die an einem Tag während des Bürgerkrieges in seinem Heimatland Sri Lanka spielt. Schon lange hat mich eine Geschichte nicht mehr so in ihren Bann gezogen wie diese, sodass ich die 220 Seiten dieser Taschenbuchausgabe fast auf einen Rutsch las!

Robert James Waller: Die Brücken am Fluss

Bei diesem Roman handelt es sich um verständlich geschriebene frauenaffine Unterhaltungsliteratur, die sich auch für Männer zu lesen lohnt! Vielleicht gerade deshalb, weil sie von einem Mann geschrieben wurde, der sich - vielleicht mit autobiografischen Zügen - in diese Geschichte, in der sich eine Farmerin in einen Fotografen verliebt, einbringt. Denn der 2017 verstorbene Autor war wie sein männlicher Protagonist Fotograf. Beruht die Story vielleicht sogar auf einer wahren Begebenheit? Möglich wäre dies durchaus! Jedenfalls verbringen die Protagonisten Francesca und Robert, welcher sie eigentlich nur nach einem Weg fragen wollte, vier glückliche Tage auf der Farm, die ihr Mann und ihre zwei Kinder für eine Veranstaltung in einem anderen Ort verlassen hatten. Was den Liebenden nach ihrer Trennung blieb, war den Rest ihres Lebens von dieser kurzen gemeinsam verbrachten Zeit zu zehren. Das war zwar traurig, aber wahr!

Simon Sing: Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet - Sachbuch -

Im Mittelpunkt dieses Sachbuchs steht die Kryptographie bzw. Kryptografie. Sie ist die Kunst der Nachrichtenverschlüsselung und quasi so alt wie die Menschheit. Letztlich geht es bei ihr immer um wahr oder falsch! Von herausragender Bedeutung war sie beispielsweise im 2. Weltkrieg. So verloren die Alliierten zwischen 1940 und 1941 durchschnittlich 50 Schiffe im Monat. Als sie ihre Verschlüsselung perfektionierten änderte sich die Seeschlacht und der weitere Verlauf des Krieges zu ihren Gunsten. Codebrecher wurden häufig durch das Ausfüllen eines Kreuzworträtsels ausgewählt, weil dieses den Geist schult, der für die Tätigkeit Nachrichten zu dechiffrieren entscheidend ist! Ein Genie unter den Codebrechern, Alan Turning, war homosexuell. Nach der „Aufdeckung“ seiner Sexualpräferenz wurde er zu einer chemischen Kastration, also zu einer Hormonbehandlung verurteilt. Im Anschluss daran bekam er Depressionen und beging etwa 1954 Suizid. Übrigens, knapp 60 Jahre später, nämlich

Antonio Tabucchi: Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro

Diese literarisch geschriebene Story zum Thema Gewalt ist ein weiterer „Portugalroman“ mit realem Hintergrund des italienischen Autors. Dieses Mal steht eine Leiche ohne Kopf im Mittelpunkt, die in einem öffentlichen Park in Porto gefunden wurde! Ein junger, vom Ehrgeiz getriebener, Boulevardreporter will den Fall, der sich in einer Polizeistation ereignete, hinterfragen und geht ihm auf den Grund. Er versucht Unstimmigkeiten aufzudecken und hält zudem das Gebaren der Polizei von Anfang an für suspekt. Für ihn wird somit immer deutlicher, dass die Staatsdiener das eine oder andere vertuschen. Und Tabucchis Lesern dämmert langsam, dass es sich bei der Story nicht um einen profanen Kriminalfall handelt, sondern dass er ihnen tiefe Einblicke in das seltsame Gebaren der Polizei bietet und zudem ihre subtilen Machenschaften aufdeckt.

Nathalie Sarraute: Tropismen

Die 1900 in Russland geborene Autorin lebte ab 1902 bei ihrer nach Frankreich übergesiedelten Mutter. Allerdings verbrachte sie einen Monat im Jahr in Russland bei ihrem Vater, einem eher areligiösen jüdischen Fabrikanten. Auch er ging 1907 nach Frankreich. So saß sie als Kind quasi in ihrer neuen Heimat zwischen den Stühlen ihrer Eltern, die beide mit neuen Partnern liiert waren. Den Hang zum Schreiben hatte die Autorin offensichtlich von ihrer Mutter, die sich in diesem Metier bereits in ihrer Heimat versuchte. Nathalie Sarrautes Art zu schreiben, ist eher die, des sich Herantasten an Worte, an Sprache. „Tropismen“ ist ihr erstes (schmales) Buch, es erschien 1938. Die deutschsprachige von mir gelesene Übersetzung von Max Hölzer erschien 1985 in „Cotta‘s Bibliothek der Moderne“. Wer „Experimentelles“ mag, liegt mit Nathalie Sarraute, richtig. Die Autorin verstarb im Alter von 99 Jahren!

Wolf Wondratscheck: Mara - Eine Erzählung -

Wolf Wondratscheck lässt ein berühmtes Cello aus dessen langem Leben erzählen und der Leser nimmt jeden Satz ab, den dieses wunderbare Instrument von sich preisgibt. Es wurde 1711 von Antonio Stradivari gebaut und behauptet zu Recht ein Kunstwerk und darüber hinaus eine Legende zu sein. Es ist mehr als 300 Jahre alt und klingt wie am ersten Tag, wenn es erlebte Episoden aus seinen Saiten ausplaudert, deren Augen- und Ohrenzeuge es war. Der Leser folgt Wondratscheks lebendigen Ausführungen dankbar, weil sie ihn in eine längst vergessene Welt entführen. Letztendlich ist diese Erzählung nichts anderes als eine wunderbare Hommage an die Kunst!

Georges-Arthur Goldschmidt: Über die Flüsse – Autobiographie

Der inzwischen fast 92 jährige deutsch-französische Autor mit jüdischen Wurzeln, dessen Familie bereits im 19. Jahrhundert zum Protestantismus konvertierte, hat meines Erachtens mehr als eine Biografie verfasst, denn seine sehr literarisch und hervorragend geschriebenen Ausführungen stellen für mich eine Art geschichtliches Dokument des 20. Jahrhunderts dar, das jeder, der an deutscher (persönlicher) Geschichte interessiert ist, unbedingt lesen sollte! So erfährt man unter anderem, dass bereits im 15. und 16. Jahrhundert Juden in Deutschland auf der Flucht waren und nach Polen einwanderten, dort wurde aus ihrem Deutsch „Jiddisch“! Zudem gründete 1850 eine Verwandte des Autors den ersten Kindergarten in Hamburg. Zum Thema Kinder schreibt der Autor weiter: „Wahrscheinlich liegt der Ursprung vieler der auf der Welt begangener Verbrechen in Leiden, die man ungerechterweise Kindern zugefügt hat.“ (S. 177). Als jemand der selbst viele Jahre in einem christlichen Internat in den

Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas

Ich las die 1988 beim Ullstein Verlag erschienene Ausgabe dieses voller Lebens- bzw. Altersweisheiten steckenden autobiografische Romans des Schriftstellers Kazantzakis. Er wurde 1883 in der Stadt Meagalo Kastro, dem heutigen Iraklio, geboren und verstarb 1957 in Freiburg. Kazantzakis erzählt von einer Männerfreundschaft, in der er zusammen mit dem ca. 65-jährigen makedonischen Arbeiter Alxis Sorbas, ein aufgelassenes Braunkohlebergwerk auf Kreta reaktivieren wollte. Schnell entwickelte sich zwischen den beiden eine Freundschaft, in der Kazantzakis Sorbas Apell registriert: „Lass das Zigarettenrauchen“, sagte er zu mir,, „du zündest eine an, rauchst sie halb und wirfst sie dann weg, wie ein Straßenmädchen. Es ist eine wahre Schande - „Schaff dir eine Pfeife an. Sie ist eine treue Gattin. Kommst du nach Hause, erwartet sie dich, ohne sich von der Stelle zu rühren. Und du wirst dich an mich erinnern, wenn du den den blauen Ringen in der Luft nachschaust.“ (S. 47 unten). Zud

Sybille Berg: GRM

Dieser Roman, ohne klassische Textstruktur, spielt nach dem Brexit im neoliberalen England und weist keinen einzigen Dialog auf. Zudem fällt er durch seinen besonderen Schreibstil auf, der in seinen drastischen Schilderungen an Rap erinnert. Bereits der Bestandteil des Buchtitels GRM (eine Slangabkürzung für Grime) bezieht sich auf ihn. Zudem berichtet dieser Roman mit seinen 634 Seiten als eine Art düsterer Monolog unglaublich schräg vom herannahenden Ende der Welt. U.a. erzählt Sybille Berg von Männern, die sich bis dahin der „Volksablenkungsmaßnahme“ Fußball verschreiben, welche sie von einer Revolution abhält! Und wenn sich Männer einem anderen ihrer überschaubaren Interessen bzw. Bedürfnissen widmen, fragen sie jovilant: „Es war doch schön für Dich?“ Diese ziemlich schräge Story, mit vermeintlich „dystopischen“ Zügen, ist vor allem lesenswert, weil sie für mich unseren Zeitgeist entlarvt!

Julian Budden: Verdi - Sachbuch -

Verdi wurde 1813 geboren. Mit 9 Jahren war er bereits Organist. Der englische Autor dieses Sachbuchs vergleicht Verdis Art zu komponieren mit Brahms. Allerdings lassen sich bei ihm offensichtlich auch Assoziationen zu Beethoven finden. Eine seiner Arten zu komponieren, ist die der Beschränkung, in der sich laut Goethe der Meister zeigt, wie Budden schreibt! An anderer Stelle führt er an, dass kein anderes Instrument als das Cello Trauer besser transferiert als dieses, und deshalb hätte es Verdi für diese Gemütslage auch ganz bewusst eingesetzt. Darüber hinaus gehört sein Requiem für den Autor zu den größten Meisterwerken der Chormusik. Als ich diese interessanten Ausführungen las, in der sich auch zu Beethoven Verknüpfungen finden lassen, musste ich immer wieder daran denken, dass ich Verdis Geburtsort Roncole, der inzwischen Roncole Verdi heißt, sowie seine Wirkungsstätten in Busseto und Agata vor einigen Jahren besuchte. Und für mich war es damals besonders interessant,

A.J. Cronin: Die Schicksalsnacht (Trivialroman)

In diesem schwarz-weiß gezeichneten Trivialroman von 1940 mit festen Rollenbildern des schottischen Autors, Arztes und Vielschreibers (er verfasste 25 Romane) plaudert er einiges aus der Krankenhauswelt aus, in die ich als Patient einmal für längere Zeit gezwungenermaßen hineinschnuppern musste. So hatte ich beim Lesen durchaus einige Déjà-vu Erlebnisse! Im Mittelpunkt stehen die engagierte Krankenschwester Anne sowie deren Schwester Lucy, die ebenfalls in diesem Beruf arbeitet. Die triviale Geschichte hat trotz allen Schwächen einen Spannungsbogen sowie einen Unterhaltungswert, sodass sie sich mit ihren knapp 200 Seiten „gut weglesen ließ“! Zudem ist sie sozialkritisch und beleuchtet die absolut unzumutbaren Arbeitsverhältnisse für Krankenschwestern in der damaligen Zeit. Dies hat sich sicher verbessert und dass zum Schluss die Protagonistin einen Arzt heiratet, soll es ja bis heute geben!

Alexis Kivi: Die sieben Brüder

Der finnische Autor (1834-1872), der eigentlich Alexius Stendal hieß, schrieb unter seinem o. g. Pseudonym als erster in seiner Heimatsprache. Zuvor war die Amtssprache in seinem Land das Schwedische. Kiwis Roman wurde zu seinen Lebzeiten negativ aufgenommen. Krank und unglücklich starb er im Alter von nur 38 Jahren. Zunächst empfand ich den Aufbau des Romans als sehr ungewohnt, denn er besteht überwiegend aus Dialogen. Wenn man sich allerdings als Leser an dieses literarischen Stilmittel gewöhnt hat, und sich zudem auf das Mythische der Geschichte einlässt, fällt es einem leicht dem Autor dieser sozial- und gesellschaftskritischen Erzählung zu folgen. Sie spielt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für mich ist es allerdings als Leser des 21. Jahrhunderts erschreckend zu lesen, wie das (analphabetische) Volk, damals durch den Staat und Klerus dominiert wurde. Jedoch wird es für mich heutzutage ebenfalls dominiert, nämlich vom Kapitalismus, der sich verbrämt soziale

Harald Bloom: Shakespeare - Biografie

Diese über 1000seitige William Shakespeare Biografie - er lebte von 1564 bis 1616 - informirt seine Leserin bzw. seinen Leser ausführlich über das Leben des englischen Dramatikers und Lyrikers, der als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Weltliteratur gilt. Für mich stellt sich zunächst die Frage, weshalb er uns heute, im 21. Jahrhundert, noch immer interessiert. Viele Biografen, wie beispielsweise Harald Bloom, beantworteten diese Frage damit, dass er uns nach wie vor etwas zu sagen hat! All seine Dramen, es sind drei Dutzend, handeln von Menschen, die mit sich und der Welt ringen, unabhängig von der jeweiligen Zeit, in der sie leben. Denn die Auseinandersetzung des Individuums mit seinen Mitmenschen im lebendigen Mit- bzw. auch Gegeneinander hat sich über Jahrhunderte nicht geändert, denn das Leben ist ein immer wiederkehrender Kampf mit sich und anderen geblieben. Wobei Shakespeare an Herz und Verstand des Einzelnen appelliert! Dieser Humanismus zeugt von einem

Nathalie Sarraute: Die goldenen Früchte

Nathalie Sarraute erzählt die „Geschichte“ eines Romans, der nicht existiert! Geschrieben ist er im Stil des „Nouveaus“, den die Autorin im Frankreich der 60er Jahre mitbegründete. Diese Art des Schreibens ist eher deskriptiv, wenn sie Handlung transferiert. Auf den konventionellen Leser wirkt dieses retardierend. 1964 wurde die Autorin für ihren Roman, der mich einerseits irritierte und andererseits faszinierte mit dem internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Wer einmal „ausgetretene“ Literaturpfade meiden möchte, ist mit diesem eher kurzgehaltenen Roman bestens bedient und vielleicht auch, wie ich, von ihm und seiner Thematik angetan!

Alberto Manguel *): Eine Stadt aus Worten / Über „Fast-Food-Bücher“! - Sachbuch -

“Unter dem Einfluss einer allgemeinen an vermeintlich eher „unbedarfte“ Leser gerichteten Zeitungspolitik füllen die Literaturbeilagen mehr und mehr Platz mit ebendiesen „Fast-Food-Büchern“ und erwecken so den Eindruck, „Fast-Food-Bücher“ seien genau so wertvoll wie jeder altmodische Klassiker, oder aber die Leser seien nicht intelligent genug, um sich an „guter“ Literatur zu erfreuen. Dieser letzte Punkt ist von entscheidender Bedeutung: Die Industrie muss uns unsere Dummheit erst anerziehen, denn Dummheit ist uns nicht von Natur aus gegeben. Im Gegenteil, wir kommen als intelligente Geschöpfe, neugierig und begierig nach Unterweisung zur Welt. Es bedarf schon eines immensen Aufwands an Zeit und Mühe, individuell wie kollektiv, um unsere intellektuellen und ästhetischen Fähigkeiten, unser kreatives Empfinden und unseren Sprachgebrauch abzustumpfen und schließlich zu ersticken.“ (S. 180 mitte bis S. 181 oben) *) Alberto Adrián Manguel, geb. 1948, ist ein Schriftsteller, L

Kai Wieland: Amerika*)

Theken-Geraune aus der süddeutschen Provinz, aufgezeichnet von einem Chronisten! In seinem ersten, gut geschriebenen und interessanten Roman, lässt der noch junge Autor in einem fiktiven schwäbischen Provinzwirtshaus, seinen Protagonisten aufs Maul der Gäste schauen, die ihm lebhaft und viel, nicht zuletzt aus der braunen Vergangenheit, zu erzählen haben. Wielands Rückblick in die Nachkriegszeit ist sehr bemerkenswert, besonders da er seine gleichaltrigen Leser nicht nur auf diese Zeit aufmerksam macht, sondern ihnen zudem aufzeigt, dass der Nationalsozialismus damals nicht wirklich aufgearbeitet worden ist! Denn wie wäre es ansonsten möglich, dass heutzutage rechte Parteien bei uns in Deutschland wieder einen so starken Zuspruch finden. Der 1989 geborene Autor lässt für mich hoffen, dass es ihm gelingt, seine Generation für das Thema 3. Reich zu sensibilisieren und sie dazu bringt sich mit diesem auseinanderzusetzen. Vielleicht sollte dieser Roman Pflichtlektüre in deuts

Brigitte Kronauer: Das Taschentuch

Im Mittelpunkt der Story steht Willi, der Apotheker! Ein Mensch mit Taschentuch, der sozusagen scheinbar überall zu finden ist, und sich irgendwie zwischen Vergangenheit und Gegenwart in Richtung Zukunft bewegt. Willi scheint ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein und muss doch mit und in ihr leben und sich mit ihr arrangieren. Ja und weshalb sollte es ihm besser gehen als vielen anderen Zeitgenossen! Was die exzellent beobachtende Brigitte Kronauer, die 2005 den Georg Büchnerpreis erhielt, ihren Leserinnen und Lesern bietet, lässt sich für mich letztlich als erzählter Alltag auf gutem literarischen Niveau bezeichnen.

Juli Zeh: Unterleuten

Juli Zeh: Unterleuten Juli Zeh erzählt in ihrer gut lesbaren und leicht zu verstehenden Alltagsprosa, von einem im Beruf und Familie überforderten Mann. In seinem Urlaub auf Lanzarote hat er einen Radunfall. Er kommt von einer steilen Piste ab, stürzt und erleidet ein Trauma. Plötzlich wird ein Ereignis aus seiner Kindheit in ihm wach. Es erinnert ihn an eine schwierige Situation, die er zusammen mit seiner Schwester erlebte. Die Autorin und promovierte Juristin, die ehrenamtlich Richtern am Landesverfassungsgericht Brandenburg ist, macht ihrer Leserschaft deutlich, dass der Protagonist ihrer Story mit einem offensichtlich noch nicht verarbeiteten Trauma zu kämpfen hat. Zeh trifft mit ihrer Geschichte den Nerv ihrer Leserinnen und Leser, die sich vielleicht schon selbst in einer ähnlichen Lage befanden. Somit zeigt sie ihnen mit ihrem „Handbuch“ für verzwickte und scheinbar aus weglosen Situationen auf, dass es aus diesen durchaus Auswege gibt!