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Georges-Arthur Goldschmidt: Über die Flüsse – Autobiographie

Der inzwischen fast 92 jährige deutsch-französische Autor mit jüdischen Wurzeln, dessen Familie bereits im 19. Jahrhundert zum Protestantismus konvertierte, hat meines Erachtens mehr als eine Biografie verfasst, denn seine sehr literarisch und hervorragend geschriebenen Ausführungen stellen für mich eine Art geschichtliches Dokument des 20. Jahrhunderts dar, das jeder, der an deutscher (persönlicher) Geschichte interessiert ist, unbedingt lesen sollte! So erfährt man unter anderem, dass bereits im 15. und 16. Jahrhundert Juden in Deutschland auf der Flucht waren und nach Polen einwanderten, dort wurde aus ihrem Deutsch „Jiddisch“! Zudem gründete 1850 eine Verwandte des Autors den ersten Kindergarten in Hamburg. Zum Thema Kinder schreibt der Autor weiter: „Wahrscheinlich liegt der Ursprung vieler der auf der Welt begangener Verbrechen in Leiden, die man ungerechterweise Kindern zugefügt hat.“ (S. 177). Als jemand der selbst viele Jahre in einem christlichen Internat in den savoyischen Alpen verbrachte, schreibt Goldschmidt: „Es gibt kein Internat, es gab nie eines und es wird auch nie eins geben, wo man nicht willentlich irgendwelche elternlose Seelen zerstört hätte.“ (S.179) So gesteht er zum Thema Internat weiter: "...es war wie ein Abenteuer; es war eine perverse und leidenschaftliche Unterwerfung, die mich festhielt.“ (S. 262) Und als erstaunliches Resümee führt Goldschmidt aus, dass er es trotz allem Unglück, das ihm geschah, geschafft hat, in Frankreich Wurzeln zu schlagen!

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