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V.S. Naipaul: Das Rätsel der Ankunft

Für Kenner ein Meisterwerk der Weltliteratur. Naipaul stammt aus Trinidad und hat indische Wurzeln. Seine phänomenale Sprache ist schlicht überwältigend. Ausführlich und detailliert beschreibt er seine Spaziergänge in der Region von Stonehenge und charakterisiert dabei brillant ihre Bewohner. In diesem Landstrich Englands lebte er über einen längeren Zeitraum. Neben seinen Landschafts- und Gesellschaftstudien lässt er die Geschichte seiner Vorfahren und seiner Familie mit einfließen und macht deutlich, wie die Kolonialmächte - zunächst Spanien und später Großbritannien - den karibischen Inselstaat wirtschaftlich und ökologisch ausbeuteten. Das geschah vor allem durch die Briten, weil sie einseitig Zuckerrohr anbauten. Nachdem die Sklaverei abgeschafft war brachten sie Inder ins Land. Zu denen gehörten die Vorfahren des Autors, der sich bereits in jungen Jahren für das Schreiben entschied. Mit 18 Jahren bekam er ein Stipendium, das ihn nach London führte. Später wurde England zu seiner Wahlheimat, wo er bis heute lebt. Vordergründig erzählt Naipaul in seinen biographischen Aufzeichnungen den Verfall des (Land-) Adels und den Niedergang der davon abhängigen Menschen sowie den damit verbunden Umbruch der Landschaft. Bei genauerem Hinsehen wird für mich spürbar, dass Naipaul letztendlich den Untergang des Empires beschreibt. Einer Macht, die nach der römischen, die zweitgrößte der Welt war. Dieses Imperium, das viele Völker und Länder zerstörte, bleibt am Ende, so macht es der Autor mit einem kritischen Unterton deutlich, selbst nicht vom Verfall, Niedergang und Umbruch verschont. Dass das Empire und die damit verbundene Überheblichkeit gegenüber anderen Nationen noch in so manchem Engländer schlummert, scheint sich für mich aktuell durch den Vorschlag seines Premierminister Donald Cameron, die Briten über den EU-Verbleib abstimmen zu lassen, zu bestätigen.

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Nathalie Sarraute: Die goldenen Früchte

Nathalie Sarraute erzählt die „Geschichte“ eines Romans, der nicht existiert! Geschrieben ist er im Stil des „Nouveaus“, den die Autorin im Frankreich der 60er Jahre mitbegründete. Diese Art des Schreibens ist eher deskriptiv, wenn sie Handlung transferiert. Auf den konventionellen Leser wirkt dieses retardierend. 1964 wurde die Autorin für ihren Roman, der mich einerseits irritierte und andererseits faszinierte mit dem internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Wer einmal „ausgetretene“ Literaturpfade meiden möchte, ist mit diesem eher kurzgehaltenen Roman bestens bedient und vielleicht auch, wie ich, von ihm und seiner Thematik angetan!

Nathalie Sarraute: Tropismen

Die 1900 in Russland geborene Autorin lebte ab 1902 bei ihrer nach Frankreich übergesiedelten Mutter. Allerdings verbrachte sie einen Monat im Jahr in Russland bei ihrem Vater, einem eher areligiösen jüdischen Fabrikanten. Auch er ging 1907 nach Frankreich. So saß sie als Kind quasi in ihrer neuen Heimat zwischen den Stühlen ihrer Eltern, die beide mit neuen Partnern liiert waren. Den Hang zum Schreiben hatte die Autorin offensichtlich von ihrer Mutter, die sich in diesem Metier bereits in ihrer Heimat versuchte. Nathalie Sarrautes Art zu schreiben, ist eher die, des sich Herantasten an Worte, an Sprache. „Tropismen“ ist ihr erstes (schmales) Buch, es erschien 1938. Die deutschsprachige von mir gelesene Übersetzung von Max Hölzer erschien 1985 in „Cotta‘s Bibliothek der Moderne“. Wer „Experimentelles“ mag, liegt mit Nathalie Sarraute, richtig. Die Autorin verstarb im Alter von 99 Jahren!