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Timothy Synder: Bloodlands - Sachbuch -

Dieses Sachbuch bietet eine niederschmetternde Dokumentation über Gewalt. Der amerikanische Yale Professor Synder reiht Fakten und Zahlen aus mehr als 70 Jahren europäischer Geschichte aneinander und lässt dabei das Blut seiner Leser gefrieren. Stalin und Hitler sind die treibenden Kräfte in diesem Kampf um Lebensräume im Osten, bei denen Millionen Menschen, vor allem Juden, auf der Strecke blieben. Der Autor macht am Ende seines Buches seinen Lesern Folgendes deutlich: „Wir müssen fähig sein, nicht nur die Zahl der Toten zu sehen, sondern jedes Opfer als Individuum wahrzunehmen. Die eine sehr große Zahl, die der Prüfung standhält, ist die des Holocaust mit seinen 5,7 Millionen jüdischen Opfern, von denen 5,4 Millionen von den Deutschen ermordet wurden. Doch diese Zahl darf wie alle anderen nicht als 5,7 Millionen gesehen werden, eine Abstraktion, die nur wenige von uns erfassen können, sondern als 5,7 Millionen Mal eins. Das bedeutet nicht irgendein abstraktes Bild eines Juden, der 5,7 Millionen Mal einen abstrakten Tod erleidet. Es bedeutet zahllose Individuen, die dennoch gezählt werden müssen, in der Mitte ihres Lebens…“ (S. 409) Übrigens ist mir erst durch dieses Buch klar geworden, dass der weit aus größere Teil der jüdischen Opfer, nicht in den Konzentrationslagern den Tod gefunden hat, in denen nach der Eroberung durch die Alliierten noch lebende Juden und andere Internierte befreit wurden, sondern vor Massengräbern wenigen Stunden nach dem Abtransport aus den Ghettos in Warschau, Minsk, Kiew und anderen Orten durch Schusswaffen von SS-Mannschaften und deren Helfern, wobei noch Lebende auf bereits Getötete und umgekehrt fielen. Diese Menschen, darunter zahlreiche Kinder, hatten null Chance ihren grausamen Tod zu entrinnen! Und wenn man die Gegenwart in der genannten Regionen betrachtet, scheint es wieder deutlich zu werden, dass der Mensch unfähig ist, aus seinen Fehlern zu lernen bzw., dass es Machthabern und anderen Hetzern immer wieder gelingt, mit nationalen und simplen Parolen die ungebildete Masse zu manipulieren und sie für ihre Interessen zu gewinnen. Das ist auch die Vorgehensweise der Populisten aus den unterschiedlichsten Ländern bei der bevorstehenden Europawahl. Helfen können in diesem Kontext nur Widerspruch, Aufklärung und Bildung sowie ein besseres Fernsehprogramm vor allem der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit ihren Zwangsgebühren. (Außerdem sollten wichtige Themen und gut recherchierte Berichte nicht erst zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt werden!)

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Nathalie Sarraute: Die goldenen Früchte

Nathalie Sarraute erzählt die „Geschichte“ eines Romans, der nicht existiert! Geschrieben ist er im Stil des „Nouveaus“, den die Autorin im Frankreich der 60er Jahre mitbegründete. Diese Art des Schreibens ist eher deskriptiv, wenn sie Handlung transferiert. Auf den konventionellen Leser wirkt dieses retardierend. 1964 wurde die Autorin für ihren Roman, der mich einerseits irritierte und andererseits faszinierte mit dem internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Wer einmal „ausgetretene“ Literaturpfade meiden möchte, ist mit diesem eher kurzgehaltenen Roman bestens bedient und vielleicht auch, wie ich, von ihm und seiner Thematik angetan!

Nathalie Sarraute: Tropismen

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