Dieses Sachbuch bietet eine niederschmetternde Dokumentation über
Gewalt. Der amerikanische Yale Professor Synder reiht Fakten und Zahlen
aus mehr als 70 Jahren europäischer Geschichte aneinander und lässt
dabei das Blut seiner Leser gefrieren. Stalin und Hitler sind die
treibenden Kräfte in diesem Kampf um Lebensräume im Osten, bei denen
Millionen Menschen, vor allem Juden, auf der Strecke blieben. Der Autor
macht am Ende seines Buches seinen Lesern Folgendes deutlich: „Wir
müssen fähig sein, nicht nur die Zahl der Toten zu sehen, sondern jedes
Opfer als Individuum wahrzunehmen. Die eine sehr große Zahl, die der
Prüfung standhält, ist die des Holocaust mit seinen 5,7 Millionen
jüdischen Opfern, von denen 5,4 Millionen von den Deutschen ermordet
wurden. Doch diese Zahl darf wie alle anderen nicht als 5,7 Millionen
gesehen werden, eine Abstraktion, die nur wenige von uns erfassen
können, sondern als 5,7 Millionen Mal eins. Das bedeutet nicht irgendein
abstraktes Bild eines Juden, der 5,7 Millionen Mal einen abstrakten Tod
erleidet. Es bedeutet zahllose Individuen, die dennoch gezählt werden
müssen, in der Mitte ihres Lebens…“ (S. 409) Übrigens ist mir erst
durch dieses Buch klar geworden, dass der weit aus größere Teil der
jüdischen Opfer, nicht in den Konzentrationslagern den Tod gefunden hat,
in denen nach der Eroberung durch die Alliierten noch lebende Juden
und andere Internierte befreit wurden, sondern vor Massengräbern wenigen
Stunden nach dem Abtransport aus den Ghettos in Warschau, Minsk, Kiew
und anderen Orten durch Schusswaffen von SS-Mannschaften und deren
Helfern, wobei noch Lebende auf bereits Getötete und umgekehrt fielen.
Diese Menschen, darunter zahlreiche Kinder, hatten null Chance ihren
grausamen Tod zu entrinnen! Und wenn man die Gegenwart in der genannten
Regionen betrachtet, scheint es wieder deutlich zu werden, dass der
Mensch unfähig ist, aus seinen Fehlern zu lernen bzw., dass es
Machthabern und anderen Hetzern immer wieder gelingt, mit nationalen und
simplen Parolen die ungebildete Masse zu manipulieren und sie für ihre
Interessen zu gewinnen. Das ist auch die Vorgehensweise der Populisten
aus den unterschiedlichsten Ländern bei der bevorstehenden Europawahl.
Helfen können in diesem Kontext nur Widerspruch, Aufklärung und Bildung
sowie ein besseres Fernsehprogramm vor allem der öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten mit ihren Zwangsgebühren. (Außerdem sollten wichtige
Themen und gut recherchierte Berichte nicht erst zu nachtschlafender
Zeit ausgestrahlt werden!)
Nathalie Sarraute erzählt die „Geschichte“ eines Romans, der nicht existiert! Geschrieben ist er im Stil des „Nouveaus“, den die Autorin im Frankreich der 60er Jahre mitbegründete. Diese Art des Schreibens ist eher deskriptiv, wenn sie Handlung transferiert. Auf den konventionellen Leser wirkt dieses retardierend. 1964 wurde die Autorin für ihren Roman, der mich einerseits irritierte und andererseits faszinierte mit dem internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Wer einmal „ausgetretene“ Literaturpfade meiden möchte, ist mit diesem eher kurzgehaltenen Roman bestens bedient und vielleicht auch, wie ich, von ihm und seiner Thematik angetan!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen