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Ruth Rehmann: Der Mann auf der Kanzel - Fragen an einen Vater -

Auf dieses Werk bin ich durch Walter Hicks Sachbuch, "Selbstannäherungen - Autobiographien im 20. Jahrhundert von Elias Canetti bis Marcel Reich-Ranicki", aufmerksam geworden. Das Thema interessierte mich sehr. Ruth Rehmanns Buch, das eher Dokumentation als Roman ist, beleuchtet das Leben und Wirken ihres Vaters, einem protestantischen Pfarrer. Sie, die Jüngste von mehreren Kindern, die in der Familie immer nur "das Kind" genannt wurde, begibt sich Jahre nach dem 2. Weltkrieg auf die Suche nach der Gesinnung ihres Vaters, um sich ein Bild von seinem Wirken - verstärkt im 2. Weltkrieg - zu verschaffen. Sie findet einen intellektuellen, tiefgläubigen und kaisertreuen Menschen der Oberschicht, der sich loyal zur Staatsführung der Nationalsozialisten nach 1933 verhält, da ein guter evangelischer Christ zu seiner Obrigkeit - ist sie doch von Gott gewollt - zu stehen hat. Erst kurz vor seinem Tod scheint Rehmanns Vater, der einerseits dogmatisch aber auch sehr menschlich und sozial sein konnte, einzusehen, dass er wohl offensichtlich dem SS-Staat nicht kritisch genug gegenüberstand. Aber da hatte sein körperlicher Verfall ihm bereits stark zugesetzt. Das Ende des "tausendjährigen Reichs" blieb ihm erspart. Ruth Rehmanns familiäre Spurensuche vermittelte mir mal wieder einen Einblick in die Zeit zwischen 1933 und 1945, und vor allem einen Blick in den Protestantismus, der damals untereinander sehr zerstritten war. Beispielsweise folgte der Bund "Deutscher Christen" Hitler begeisternd! Die Reformierten verhielten sich eher kritisch. Aber an Umsturz dachte ein Lutheraner ebenso wenig wie ein Katholik. Wie hätte sich auch ein Katholik wehren können, wo doch sein Boss im Vatikan schwieg!

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Nathalie Sarraute: Die goldenen Früchte

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Nathalie Sarraute: Tropismen

Die 1900 in Russland geborene Autorin lebte ab 1902 bei ihrer nach Frankreich übergesiedelten Mutter. Allerdings verbrachte sie einen Monat im Jahr in Russland bei ihrem Vater, einem eher areligiösen jüdischen Fabrikanten. Auch er ging 1907 nach Frankreich. So saß sie als Kind quasi in ihrer neuen Heimat zwischen den Stühlen ihrer Eltern, die beide mit neuen Partnern liiert waren. Den Hang zum Schreiben hatte die Autorin offensichtlich von ihrer Mutter, die sich in diesem Metier bereits in ihrer Heimat versuchte. Nathalie Sarrautes Art zu schreiben, ist eher die, des sich Herantasten an Worte, an Sprache. „Tropismen“ ist ihr erstes (schmales) Buch, es erschien 1938. Die deutschsprachige von mir gelesene Übersetzung von Max Hölzer erschien 1985 in „Cotta‘s Bibliothek der Moderne“. Wer „Experimentelles“ mag, liegt mit Nathalie Sarraute, richtig. Die Autorin verstarb im Alter von 99 Jahren!