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Peter Høeg : Vorstellung vom 20. Jahrhundert

Das war 1988 der Debütroman des dänischen Schriftstellers (*1957). International bekannt wurde er mit "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" (1992). Ich fand dieses Buch vor kurzem auf einem Flohmarkt. Da ich Høegs-"Schneeroman" gelesen habe und er mir gut gefiel - im Gegensatz zum Film *), den ich später auf einer DVD sah - kaufte ich ihn für 1,- €. Und ich bin begeistert! Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Ich-Erzähler, der vor seiner Leserschaft Jahrhunderte mit Worten ausbreitet und sie mit handelnden Personen aus gesellschaftlich unterschiedlichen Familien chronologisch füllt. So gerät der Rezipient in die Vergangenheit und spürt mit den handelnden Charakteren, wie einem Grafen, einem Schlossverwalter, einer Zeitungsverlegerin, einem Pastor, einem Dieb und einer Zirkusprinzessin, so wie mit vielen weiteren schrägen Typen mit. Sie alle entsprechen nicht wirklich der allgemeinen Norm! Der Ich-Erzähler tritt sogar in Dialog mit dem Lesern und seinen Protagonisten, die er wie an einem roten Faden mehrer 100 Jahre durch ihre Familiengeschichte und somit durch die Geschichte Dänemarks bis zum Jahre 1989 führt. Einen breiten Raum nimmt dabei die Zeit zwischen 1898 und 1939 ein. Industrialisierung, Technikwahn, Heilsversprechen, Verstädterung, Armut, Reichtum, Arbeitskämpfe, Krieg und Erziehung sind nur einige Aspekte die der Autor satirisch beleucht. Die 400 sehr gut geschriebene Seiten, für die der Autor sechs Jahre benötigte, zeigen, dass Peter Høeg ein präziser und exzellenter Schriftsteller ist. Das ist sicherlich nicht das Letzte was ich von ihm las. Seinesgleichen findet man aktuell im deutschsprachigen Raum leider nicht! Vielleicht wäre es für mich als Leser hilfreich gewesen, wenn ich mich mit der dänischen Geschichte besser ausgekannt hätte. Aber insgesamt hat dieses Manko meiner Lesefreude keinen Abbruch getan.
*) Laut "Wikipedia" will der Autor keine seiner Bücher mehr verfilmen lassen. Vor allem weil der bildlichen Phantasie der Leser keine Grenzen gesetzt werden sollen.

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