Direkt zum Hauptbereich

Roger Willemsen: Kleine Lichter

Erzählt wird von der Liebe, auch von der körperlichen. Es wird nicht nur erzählt, sondern philosophiert, theoretisiert, ja seziert. Wie sollte es bei einem Intellektuellen wie Roger Willemsen (* 15. August 1955; † 7. Februar 2016) es gewesen ist anders sein. Willemsen geht der Liebe in der Rolle des anderen Geschlechtes auf den Grund. (Er nimmt also die Position der Frau ein!) Dabei kam mir der Eindruck, dass die Liebe und mit ihr die Sexualität quasi ausgezuzelt bzw. ausgesaugt wird. Zudem werden Fragen zur Liebe gestellt und auch zum Teil beantwortet, auf die man vielleicht gar nicht selbst gekommen wäre. Die Protagonistin nimmt Kassetten für ihren Freund Rashid auf, der seit sechs Monaten in einem Krankenhaus im Koma liegt, um die gemeinsame Zeit mit ihm verbal auferstehen zulassen. Gedanke für Gedanke entsteht, alle ranken sich um das alle Menschen bewegendes Thema. Für mich sind sie größtenteils treffende, geistreich-witzige Bemerkungen, somit gelungene Bonmots. Zudem erinnern sie mich an die Zettel die sich im Innenraum eines
Glücks-Kekses(* befinden. Sie sind oft Ratschlag und Weisheit zugleich, aber auch Sinnspruch. Im Fall des Romans „Kleine Lichter“ stellen sie für mich eine Art von Sinnsprüchen zu den Themen Beziehung, Liebe und Sex dar. Apropos Roman, um einen klassischen handelt es sich beim Willemsens Erstling nicht wirklich, da es keine stringente Handlung gibt. Ebenso wenig sind ein Handlungsfluss oder eine Entwicklung der Geschichte erkennbar, dafür aber das Jonglieren mit Wörtern, das ich - siehe oben - sowohl als erbauend wie als erheiternd empfinde. Noch ein Gedanke: Vielleicht muss man dieses Buch gar nicht von Anfang bis zum Ende lesen, sondern man bladelt bzw. blättert einfach so ins Blaue, besser ins Schwarz-Weiße, bzw. ins Leben oder sogar in die wie immer geartete Liebe hinein!
(* Die Glücks-Kekse sollen übrigens in Amerika um 1909 erfunden worden sein. Somit sind sie kein Gebäck im Sinne chinesischer Tradition! Wie bei der Currywurst (** ist nicht 100% klar, wie sie aufkamen. Die älteste Theorie gibt an, dass ein japanischer Einwanderer, der in San Francisco einen Teegarten betrieb, sie zum Tee reichte, um seinen Gästen fernöstliche Weisheiten zu vermitteln. Sein Ziel war offensichtlich, einen positiven Eindruck zu hinterlassen, damit seine Gäste wiederkommen bzw. neue durch die Zettelchen und die damit verbundene Mundpropaganda auf seinen Teegarten aufmerksam zu machen.
(** „Die Entdeckung der Currywurst“ von Uwe Timm. Diesen Roman kann ich wärmstens empfehlen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Nathalie Sarraute: Die goldenen Früchte

Nathalie Sarraute erzählt die „Geschichte“ eines Romans, der nicht existiert! Geschrieben ist er im Stil des „Nouveaus“, den die Autorin im Frankreich der 60er Jahre mitbegründete. Diese Art des Schreibens ist eher deskriptiv, wenn sie Handlung transferiert. Auf den konventionellen Leser wirkt dieses retardierend. 1964 wurde die Autorin für ihren Roman, der mich einerseits irritierte und andererseits faszinierte mit dem internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Wer einmal „ausgetretene“ Literaturpfade meiden möchte, ist mit diesem eher kurzgehaltenen Roman bestens bedient und vielleicht auch, wie ich, von ihm und seiner Thematik angetan!

Nathalie Sarraute: Tropismen

Die 1900 in Russland geborene Autorin lebte ab 1902 bei ihrer nach Frankreich übergesiedelten Mutter. Allerdings verbrachte sie einen Monat im Jahr in Russland bei ihrem Vater, einem eher areligiösen jüdischen Fabrikanten. Auch er ging 1907 nach Frankreich. So saß sie als Kind quasi in ihrer neuen Heimat zwischen den Stühlen ihrer Eltern, die beide mit neuen Partnern liiert waren. Den Hang zum Schreiben hatte die Autorin offensichtlich von ihrer Mutter, die sich in diesem Metier bereits in ihrer Heimat versuchte. Nathalie Sarrautes Art zu schreiben, ist eher die, des sich Herantasten an Worte, an Sprache. „Tropismen“ ist ihr erstes (schmales) Buch, es erschien 1938. Die deutschsprachige von mir gelesene Übersetzung von Max Hölzer erschien 1985 in „Cotta‘s Bibliothek der Moderne“. Wer „Experimentelles“ mag, liegt mit Nathalie Sarraute, richtig. Die Autorin verstarb im Alter von 99 Jahren!