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William Boyd: Eines Menschen Herz und weitere Bücher ...

William Boyd: Eines Menschen Herz
In diesem Roman erzählt der fiktive Engländer Logon Mounstuart, der in Uruguay geboren wurde, seine Biographie in Tagebuchform. An Hand des Lebens seiner Hauptfigur bringt Boyd seinem Leser die Geschichte des 20. Jahrhunderts nahe. Dies geschieht indem Logon Mounstuart allerhand Abenteuer erlebt, an politischen Brennpunkten und Kriegsschauplätzen auftaucht und berühmte Menschen der Zeitgeschichte, vor allem Künstler - insbesondere bildende - trifft. Er ist somit der Mann, der zur passenden Zeit am richtigen Ort war! Um seiner Hauptfigur größere Glaubwürdigkeit zu verschaffen und ihn als realen Zeitzeugen erscheinen zu lassen, was ihm durchaus gelingt, hat der Autor Fußnoten und am Schluss seines Werkes sogar ein Register angefügt, das auf die Personen, Schauplätze, Ereignisse etc. verweist, mit denen Mounstuart im 20. Jahrhundert in Berührung kam. Die Story ist bis auf einige - unweigerlichen? - Längen spannend erzählt, informativ, unterhaltend, recht amüsant und sogar ein wenig „schlüpfrig“*).
An manchen Stellen scheint die Fantasie mit Boyd durchzugehen, aber das sei ihm verziehen, denn im Großen und Ganzen handelt es sich für mich bei „Eines Menschen Herz“ um einen gelungen Roman. Manche Leser sagen es sei Boyds bester, das kann ich aber nicht beurteilen, weil es für mich der erste war, den ich von ihm las.
Die Story dieses Romans lässt sich durchaus mit der von „Abendland“, den der Österreicher Michael Köhlmeier geschrieben hat, vergleichen. In beiden Geschichten treten männliche Protagonisten als Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts auf. Bei Boyd dienen - wie beschrieben - Tagebuchaufzeichnungen als Dokument. Bei Köhlmeier hingegen ist es eine Art freies Protokoll, welches die Hauptfigur des Romans seinem Freund (besser Ziehsohn), einem Schriftsteller, diktiert. Dieser Schriftsteller nimmt sich allerdings die Freiheit, da es viele schicksalhafte Berührungspunkte zwischen ihm und Jakob Candoris - der Hauptfigur der Story - gibt, seine eigenen Gedanken sowie sein Leben in dem von Candori mit einfließen zu lassen. Dieser Fakt ist von Candori übrigens auch gewollt. Somit ist in diesem Roman die Hauptfigur nicht der direkte Erzähler, sondern der Autor Sebastian Lukasser, der eine Art Eckermann gibt.
Wie bereits erwähnt gefällt mir dieser Roman nicht, weil ich den Eindruck habe, dass der Autor Köhlmeier - wie unter Zwang stehend? - alle möglichen Ereignisse schildern wollte, und unendliche viele Figuren des 20 Jahrhunderts auftreten ließ. Mir scheint, dass Köhlmeier ein epochales, unvergessliches Werk des vergangenen Jahrhunderts beim Schreiben vor Auge hatte, wobei er sich leider nach meinem Dafürhalten - im wahrsten Sinne des Wortes - verzettelt hat.
Als Vergleich zu den oben genannten zwei Büchern ist mir noch David Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ eingefallen. Hier werden wie man weiß die Biographien zweier bekannter Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts - nämlich die von Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humbold - fantasievoll, lebendig, informativ, ironisch und spannend erzählt. Im Gegensatz zu den beiden oben genannten Autoren bringt Kehlmann seine Story auf den Punkt und unterhält seine Leser über 300 Seiten durchweg auf einem guten und angenehmen Niveau. Somit bestätigt sich für mich wieder einmal die alte Weisheit, in der Kürze liegt die Würze.
Anmerkung: Boyds Roman hat 500 Seiten, der von Köhlmeier sogar (leider) fast 800.
*) Zum Thema „schlüpfrig“ ist mir noch ‚Walter’ (ein Pseudonym) „Mein geheimes Leben“ - Ein erotisches Tagebuch aus dem Viktorianischem England - eingefallen. Dieser Roman, mit einem Essay von Nadine Strossen, erschien im Herbst 1997 beim Haffmans Verlag in Zürich, als erste vollständige deutsche Ausgabe. Aus dem Englischen von Martin Richter und Johanna Schroeder. Die englische Originalausgabe „My Secret Life“ erschien 1888-1892 bei Barncart in Brüssel.
Diesen dreibändigen Roman habe ich Ende der 90er Jahre gelesen. Er ist mir noch in Teilen sehr präsent. Sicherlich liegt es daran, dass er mir auf einer zwiespältigen Art und Weise gefallen hat. Ich empfehle ihn für die anstehenden kalten Abende als „Betthüpferl“, denn „Der nächst Winter kommt bestimmt“!

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