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Köhlmeier: Abendland Michael


Der unchronologische Ablauf des Romans macht ihn ein wenig interessant und vermittelt ein bisschen Spannung. Ansonsten kommt mir der Autor wie sein Ich-Erzähler Sebastian Lukasser - ein Einser Maturand - vor, der zwar nicht sagt: „Herr Lehrer, ich weiß was“, sondern „Lieber Leser, ich weiß alles!“ Ja, der Herr Köhlmeier ist ein Naseweis, der seinem Leser seine (vermeintliche) Klugheit und Allwissenheit förmlich aufzwingt. Der Roman steckt voller willkürlich aneinander gereihter- aber brav recherchierter - Fakten und Personen des 20. Jahrhunderts, aber ein abgerundetes erzählerisches Ganzes stellt sich nach fast 800 Seiten nicht ein. Geradezu lächerlich ist es, wenn Mühldorfer ganz zum Schluss seines Buches beschreibt, wie sein „Monster“ Hanns Alverdes (diese Figur entspringt - wie viele andere - der Phantasie des Autors) fast siebzig Jahre Zeitgeschehen und -zeugen des vergangen Jahrhunderts abgesessen bzw. - in diesem Fall vielleicht doch besser - ausgesessen hat. An dieser Stelle habe ich den Eindruck, dass der Autor seinem Leser nochmals aufs Auge drücken bzw. kundtun will: „Seht, das hat sich alles ereignet und davon habe ich dir erzählt. Und wenn du brav und aufmerksam gelesen hast, hast du auch alles mitbekommen.“ Zusätzlich gefällt mir nicht wie der Autor das Verhalten seiner Charaktere einfach nur behauptet, ohne es nur ansatzweise zu analysieren. Was veranlasst beispielsweise den Mathematiker Carl Jakob Candori, der dem Ich-Erzähler seine Lebensgeschichte diktiert, sich als Schutzengel wildfremder Menschen aufzuspielen und sie wie ein Marionettenspieler an - in diesem Fall imaginären - Fäden zu führen. Ist es „nur“ das Helfersyndrom oder möchte er mit seinen geerbten Millionen den „lieben Gott“ auf Erden geben. Mein Fazit: Das Lesen dieses Möchtegern-Epos des 20. Jahrhunderts lohnt sich - vor allem literarisch - nicht!

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