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János Székely: Verlockung

Diese Geschichte mit autobiographischen Zügen spielt im Ungarn der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts und erzählt von dem jungen Bela, der in bitterer Armut als vaterloses Kind aufwächst. Sein Bauch schreit nach Essen, sein Verstand nach geistiger Nahrung, aber was er und seine Mutter, und später auch sein wieder aufgetauchter Vater erleben ist schreiende Ungerechtigkeit, die sich als Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats durch die Mächtigen darstellt, die überall ihre Spitzel haben und den mehr oder weniger vegetierenden Menschen quasi keinen Raum zum Atmen lassen. Ich habe noch nie einen so bedrückenden und deprimierenden Roman gelesen, beim dem ich mit den Charakteren mit litt und die Unterdrücker verfluchte. Einen Ausweg aus dieser menschlichen und wirtschaftlichen Katastrophe scheint es nicht zu geben. Aber einen Hoffnungsschimmers schon, und das ist die poetische Ader Belas, die ihm Kraft gibt, um seinem Schicksal zu entrinnen und ihm einen Weg aus dem Elend weist, der ihn in das damals noch gelobte Land Amerika führt wie so viele andere Europäer die an der wirtschaftlichen und politischen Lage ihres Kontinents zerbrachen. Die erzählerische Kraft Székelys ist einfach großartig und trug mich mühelos über mehr als 900 fesselnde Seiten, die ich jedem Leser nur empfehlen kann, der an der geschilderten Problematik interessiert ist.

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Nathalie Sarraute: Die goldenen Früchte

Nathalie Sarraute erzählt die „Geschichte“ eines Romans, der nicht existiert! Geschrieben ist er im Stil des „Nouveaus“, den die Autorin im Frankreich der 60er Jahre mitbegründete. Diese Art des Schreibens ist eher deskriptiv, wenn sie Handlung transferiert. Auf den konventionellen Leser wirkt dieses retardierend. 1964 wurde die Autorin für ihren Roman, der mich einerseits irritierte und andererseits faszinierte mit dem internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Wer einmal „ausgetretene“ Literaturpfade meiden möchte, ist mit diesem eher kurzgehaltenen Roman bestens bedient und vielleicht auch, wie ich, von ihm und seiner Thematik angetan!

Nathalie Sarraute: Tropismen

Die 1900 in Russland geborene Autorin lebte ab 1902 bei ihrer nach Frankreich übergesiedelten Mutter. Allerdings verbrachte sie einen Monat im Jahr in Russland bei ihrem Vater, einem eher areligiösen jüdischen Fabrikanten. Auch er ging 1907 nach Frankreich. So saß sie als Kind quasi in ihrer neuen Heimat zwischen den Stühlen ihrer Eltern, die beide mit neuen Partnern liiert waren. Den Hang zum Schreiben hatte die Autorin offensichtlich von ihrer Mutter, die sich in diesem Metier bereits in ihrer Heimat versuchte. Nathalie Sarrautes Art zu schreiben, ist eher die, des sich Herantasten an Worte, an Sprache. „Tropismen“ ist ihr erstes (schmales) Buch, es erschien 1938. Die deutschsprachige von mir gelesene Übersetzung von Max Hölzer erschien 1985 in „Cotta‘s Bibliothek der Moderne“. Wer „Experimentelles“ mag, liegt mit Nathalie Sarraute, richtig. Die Autorin verstarb im Alter von 99 Jahren!