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János Székely: Verlockung

Diese Geschichte mit autobiographischen Zügen spielt im Ungarn der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts und erzählt von dem jungen Bela, der in bitterer Armut als vaterloses Kind aufwächst. Sein Bauch schreit nach Essen, sein Verstand nach geistiger Nahrung, aber was er und seine Mutter, und später auch sein wieder aufgetauchter Vater erleben ist schreiende Ungerechtigkeit, die sich als Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats durch die Mächtigen darstellt, die überall ihre Spitzel haben und den mehr oder weniger vegetierenden Menschen quasi keinen Raum zum Atmen lassen. Ich habe noch nie einen so bedrückenden und deprimierenden Roman gelesen, beim dem ich mit den Charakteren mit litt und die Unterdrücker verfluchte. Einen Ausweg aus dieser menschlichen und wirtschaftlichen Katastrophe scheint es nicht zu geben. Aber einen Hoffnungsschimmers schon, und das ist die poetische Ader Belas, die ihm Kraft gibt, um seinem Schicksal zu entrinnen und ihm einen Weg aus dem Elend weist, der ihn in das damals noch gelobte Land Amerika führt wie so viele andere Europäer die an der wirtschaftlichen und politischen Lage ihres Kontinents zerbrachen. Die erzählerische Kraft Székelys ist einfach großartig und trug mich mühelos über mehr als 900 fesselnde Seiten, die ich jedem Leser nur empfehlen kann, der an der geschilderten Problematik interessiert ist.

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